Umgang mit Verletzung und Schmerz

Feber 19, 2024

Das Empfinden von Schmerzen ist eine subjektive Wahrnehmung. Der Mensch, der Schmerzen empfindet, hat diese mit Sicherheit. Was hier in weiterer Folge zu lesen ist, soll in keiner Weise so verstanden werden, als ob es Schmerz gäbe oder nicht.

Lassen Sie es mich an einem Beispiel darstellen:
Ein Vorgesetzter und leitende Angestellte führen mitsammen ein Konfliktgespräch. Bei diesem Gespräch kommt es – ausgehend vom Vorgesetzten – zu Widerstand. Was die einen sich ausgedacht haben, will der Chef nun nicht für gutheißen. Es kommt zu einer hitzigen Debatte, die bei einer leitenden Angestellten zu Tränen führt. Andere Führungskräfte, die am selben Gespräch mit ihrem Vorgesetzten teilgenommen haben, sehen den Widerstand sportlich und verwerfen ihre Ideen. Sie fühlen sich herausgefordert neue Überlegungen und Vorgehensweisen zu suchen und machen sich nach dem Gespräch an die Arbeit.


Die Mitarbeiterin, die nun unter Tränen den Raum verlässt, ist verletzt. Sie empfindet durch diese Zurückweisung einen Schmerz, der sie kaum noch emotionsfrei weiterarbeiten lässt. Angst kommt auf. Wird der Vorgesetzte beim nächsten Mal mein Konzept wieder zu wenig würdigen bzw. ablehnen? Schmerz und Angst sind da, aber wohin damit? Sie sind zum Arbeiten nicht brauchbar. Sie lähmen und verwirren die Gedanken im Kopf.


Und da passiert etwas Sonderbares: Die leitende Angestellte kann diese Zurückweisung, die Unzufriedenheit ihres Chefs nicht als das betrachten, was es ist, nämlich in ihrer subjektiven Wahrnehmung ein Schmerz. Weil sie aber diesen Schmerz nicht braucht, weil er sie beim Arbeiten hindert, weil sie sich vielleicht auch ein wenig schämt dafür, dass ihr die Tränen gekommen sind, holt sie zum Rundumschlag aus und sucht einen Schuldigen. Jetzt werden für diese Verletzungen und Schmerzen der eignen Seele andere – in diesem Fall der Vorgesetzte – verantwortlich gemacht.

Der Schuldige ist aus ihrer Sicht klar der Vorgesetzte, denn er hat ihr Konzept zurückgewiesen. Er hat sich nicht euphorisch zu ihren Gedanken geäußert, ja, mehr noch, er hat vielleicht sogar gesagt, dass er es anders haben will.


Wie sehr diese Zurückweisung kränkt, kann der Vorgesetzte vermutlich gar nicht nachvollziehen. Es ist auch nicht seine Aufgabe. Eines aber ist klar: Ab diesem Zeitpunkt ist das Vertrauen in die Zusammenarbeit schwer angeschlagen. Alles, was seitens des Vorgesetzten kommt, wird innerlich mit Widerstand beantwortet. Es werden Gründe gesucht, warum der Vorgesetzte so agiert. Nicht selten werden andere Frauen, die dem Vorgesetzten nahestehen und deren Gedanken und Konzepte dem Vorgesetzten besser gefallen, dabei zu Konkurrentinnen, denen man dann die geballte Ladung des Hasses entgegenschleudert.


Es werden Gerüchte und Schreckensnachrichten über den Chef kolportiert. Es werden Unwahrheiten verbreitet, denn sie möchte ja schließlich nicht schlecht dastehen. Die leitende Angestellte kann schwer zugeben, dass ihr Konzept, ihre Ideen den Chef nicht beeindruckt hätten. Das verkauft sich nicht, wenn sie ihren guten, ehrgeizigen und arbeitsintensiven Ruf nicht verlieren möchte. Es klingt wesentlich besser zu erzählen, dass sie sich so viel Mühe gemacht hatte, dass die Idee, die vielen Stunden Arbeit nicht gewürdigt wurden. Jetzt bekommen auch andere vor diesem Chef Angst, denn auch sie haben in der nächsten Zeit einen Termin bei ihm. Und so wird dieser Chef zum unmenschlichen Monster konstruiert, vor dem sich all jene fürchten, die nicht bereit sind zu lernen.

Markus Hörndler bringt es auf den Punkt, wenn er postet:
„Wer ist dein stärkster Gegner? Deine Gedanken.

Wer ist dein bester Freund? Deine Gedanken.
Niemand kann uns mehr ruinieren bzw. mehr helfen!“ (# Hörndler Consulting)

Die anmaßende Haltung der leitenden Angestellten zu glauben, dass ihr Vorschlag allen – und vor allem dem Chef – gefallen muss, wird nun zum Ausgangspunkt einer Opfer- und Tätergeschichte, bei der das vermeintliche Opfer zum Täter und der scheinbare Täter zum Opfer wird.