In unserem säkularisierten Europa, in dem sich scheinbar der katholisch-christliche Glaube neu erfinden muss, wird derzeit vieles von dem verworfen, was den Menschen Orientierung, Halt und Sicherheit bietet. Ein Aspekt ist dabei der Zugang zur Religiosität.
Während es früher eher ein Privileg war, sich religiös bezeichnen zu können, ist es heute mehr der Begriff der Spiritualität, mit dem sich die Menschen eher identifizieren können.
In meiner Dissertation mit dem Titel „Transkulturelle Bildungspraxis und der implizite Religiositätsbegriff im säkularen Orientierungssystem der Grundschule“ gehe ich der Frage nach, ob sich in kulturellen Aussagen von Menschen implizit-religiöse Einstellungen und/ oder Haltungen verbergen. Dazu müssen vorab einige Fragen geklärt werden:
In meiner qualitativen Studie unterscheide ich zwischen Spiritualität – als Rückbindung an einen „spiritus“ (Geist) und der Religiosität als Rückbindung an eine bestimmte Religion. Die zentrale Frage ist dabei: Ist das Erforschen von Religiosität noch zeitgemäß? Wenn ja, wie kann sie in säkularisiert-kulturellen Aussagen von Menschen im pädagogischen Kontext entdeckt werden?
Aus der pädagogischen Perspektive betrachtet, konnte beobachtet werden, dass Menschen, religiöse Aussagen tätigen, obwohl sie explizit nicht nach ihrer eigenen Religiosität und Spiritualität befragt wurden.
In Anlehnung an Tatjana Schnells (2009) Konzept der impliziten Religiosität konnten im Kontext der Pädagogik drei Komponenten entdeckt werden, die für das Zusammenspiel von impliziter Religiosität bedeutsam sind. Anders gesagt, es konnten drei Komponenten benannt werden, die es braucht von einer impliziten oder unbewusst verwendeten Form von Religiosität sprechen zu können. Demnach drückt sich implizite Religiosität im Kontext der Pädagogik aus durch einen pädagogischen Beweggrund in einem pädagogischen Handlungsfeld, wodurch es in weiterer Folge zu einem Beziehungszuwachs kommen kann.
Verifiziert wurde dieser Ansatz mit der Resonanztheorie von Hartmut Rosa (2016). Rosa geht davon aus, dass es einen Moment der Berührung gibt und eine darauffolgende Antwort auf diese Berührung.
Dadurch entsteht im Menschen eine Veränderung, eine Transformation, die dem Menschen eine neue Wirklichkeit erfahren lässt. Dabei bleibt jedoch offen, ob es bei diesem Resonanzgeschehen eine Transzendierungserfahrung gibt oder nicht. Rosa nennt dies dann den Moment der Unverfügbarkeit.
Die Aussagen der Probandinnen und Probanden meiner qualitativen Studie wurden mit Rosas Resonanztheorie gegengebürstet und reflektiert.
Ein entscheidendes Ergebnis zeigte sich darin, dass, um Religiosität feststellen zu können, das Beherrschen der religiösen Sprache erforderlich ist. Nachdem die Probandinnen und Probanden nicht nach ihrer persönlichen Einstellung zu Religion gefragt wurden, sie also selbst nicht explizit religiös antworteten, war es meine Aufgabe die religiöse Sprache in den Forschungsprozess einzubringen.
Aus der Perspektive der angewandten Religionswissenschaft, genauer der Religionsphänomenologie, zeigte sich demnach, dass in dieser qualitativen Studie nicht das Wesen von Religion untersucht wurde. Es ging vielmehr um die Frage, welche Bedeutung Menschen bestimmten Phänomenen zuschreiben würden.
Daraus ergab sich, dass Menschen implizite Religiosität zeigen vor allem dann, wenn sie versuchen kulturelle Phänomene erklären oder beschreiben zu wollen.
Religiöser Ausdruck kann auch aus kulturell-definierten Aussagen gelesen werden, so ferne die religiöse Sprache des Herauslesens beherrscht wird.
Doch wozu sollte das bedeutsam sein?
Ich denke, in einer Zeit, in der Religiosität den Touch von altmodisch bekommen hat, sollte darauf aufmerksam gemacht werden, welch enormer Mehrwert diese Haltung birgt. Es braucht das in Erinnerung rufen, dass der Mensch nicht der Alleskönner seiner selbst ist, sondern dass er bezogen ist auf etwas, das er als religiöser Mensch das Andere, Transzendenz, das große Geheimnis (Steindl-Rast) oder Gott nennt.